Portugal


Das Wunder dieser Geburtstagsfeier bestand ja eigentlich darin, daß eine Bande von Individualisten über Jahrzehnte zusammengehalten werden konnte und sich - zwar in größeren Abständen, aber immer "als wäre es gestern" - wiedertraf. Dabei waren die Attraktions- und Mittelpunkte dieses Planetensystems weder prominent noch modisch, weder reich noch gestylt. Was waren sie aber dann? Sie hielten ja nicht nur diesen Haufen zusammen, sondern hatten ihn noch so "zusammengefunden", daß die Individuen alle irgendwie untereinander zur Passung kamen. Offenbar hatten wir es mit zwei psychologischen Naturtalenten zu tun, die gewissermaßen rochen, wer mit wem konnte. Eine Gelegenheit zum Sieben, Probieren und Ausscheiden gab es nicht, wurde von uns jedenfalls nicht wahrgenommen.


Genügt aber nicht, daß die Richtigen gefunden werden, sie müssen auch aus ihrer Sicht die Finder oder das Zentrum so attraktiv finden, daß sie aus freien Stücken immer wieder in die Umlaufbahn einschwenken. Nach unserem Gefühl ist es eine Art von Großzügigkeit bei Helga und Norbert gewesen, die allen unseren Eigenarten, Berufen, Hobbys und Macken ihren Platz ließ, ja zeitweise wenigstens, eine Blüte ermöglichte. Beide intelligent und pragmatisch, durchaus mit spontanen Ausreißern. Helgas Witz und Herz und Norberts Mischung von Spiritualität und Logik konnten jede Diskussion zu einer emotionalen Achterbahnfahrt erheben. Kein schlechtes Zeichen auch für den Gastgeber, wenn sich alle Festredner darum bemühen, die längste Bekanntschaft mit Norbert aufzuweisen. Nach Helgas Tod (“ach wat, ick war noch nie beim Arzt”) hatte Norbert seinen Sechzigsten und lud alle nach Area Branca ein. “Och, wat sollick mit dem Geld?”


Wir wollten in der ersten Woche schon mal drei Tage in Lissabon verbringen. Der Express nahm uns mit, obwohl der Fahrpreis von Areia Br. nicht höher war als von Lourinha. Wegen des resultierenden Nulltarifs auf der Kurzstrecke hatte uns gestern der Busfahrer „Nononono!" noch hinausgesetzt. Ein Passagier hatte dann auf der Fahrt unsere Diskussion um die Dringlichkeit von Entsorgungsgeschäften verstanden und konnte auf Portugiesisch für eine längeren Halt in der letzten Station vor Lissabon sorgen. Dergleichen ist in Portugal ohne Notruf möglich. So kam der Kaffee weg und die Fahrt wurde zu einem ruhigen Genuß. Das heißt, die Riesenfassaden mit den im Regen rostenden Fensterinstallationen als Wände trostlos und kilometerlang beiderseits der Stadtautobahnen gestaffelt, hatten was von Kamtschatka. Lange kalte Felsen, die irgendwo im Nebelgebirge verschwinden. Millionen Hoffnungen...




Niemand der Lissabon besucht, versäumt die Fahrt mit der 28. Das geht ganz normal los am großen Straßenbahnhof, schwenkt dann aber ein in eine Art mittelalterliches Bergnest, das vor einigen hundert Jahren zur Burg hinauf oder von ihr herabgebaut worden war. Jedenfalls schlängelt sich das fast ebenso alte Elektro-Spezialwägelchen im Schritttempo bunte, steile, krumme Gassen hinauf, die man keinem Eselskarren zumuten würde. Die Wände kommen den Fenstern so nah, daß man meint, der Rahmen schabt gleich den Putz ab. Kleine Treppenschächte sind mit Gemüsekisten umlegt und zeigen an, daß sich im Souterrain ein Laden befindet. Apfelsinen dürfen nicht herausfallen - würden erst nach einem Kilometer anhalten.


Ganz das Gegenteil die Fahrt auf das Landgut oder Fürstentum. Das ging mit den Autos dahin, wo vor hundert Jahren sich noch kein Wanderer getraut hat. So richtig Berg- und Räuberwald, aber nicht in weiten Hängen, sondern dicht und in so bewegter Landschaft, daß man die Flüsse in der Tiefe nicht sah, die man hörte. Mario, graue Eminenz, guter Geist, Menschenkenner und Mutter aller Vermittler immer voran. Und da hatte einer ummauerte Schlößchen, Schwimmbecken, Gruft, Kirchlein und Gästehaus hineingebaut - man fragte sich angesichts der durchkurvten Stein- und Matschwege, wie dort die Baumaterialien hingekommen waren. In bunten Gruppen , aufgeteilt wie selige Geister bei Eyck wanderten wir langsam durch Gärten, an Brüstungen, Waldrändern, Terrassen und steilen Hängen entlang. Montsalvasch: einmal gesehen und nie wiedergefunden. Uralte Steinreliefs, die vom tiefen Grün überwuchert wurden, sahen aus als hätten sie in endloser Vergessenheit überdauert. Nein, keine Sorge, da war auch ein Saal im Licht mit langen Tischen, langen Schalen voll appetitlicher Sachen, blinkenden Gläsern und dampfender Suppe, alles von Norbert wieder für 40 Leute mit Musik angerichtet und -aach, zurück auf Erden.


Obidos ist son Bergdorf, das wie ein Vogelnest unterhalb der berühmten Burganlage klebt. Oben gewaltige Kulisse, wo der Wind regiert. Steingewalt aus schweren Wolken gemacht. Über schmale ungesicherte Natursteintreppen ersteigen wir die hohen Mauern, blicken nach Westen auf den Atlantik wie die Weltherren der Dämmerung. Atem des Atlantik bis hier herauf, ja. Ein unübersehbares Reich dahinter. Der erste Globalkonflikt der Erde wurde mit Spanien geregelt - halbe halbe. Unten wieder die Gäßchen und Farben wie in Südengland, Seefahrer. In Obidos beides: die vergangene Macht und die bunte Idylle direkt übereinander. Ab und zu betreten wir in Grüppchen die kleinen Läden. Alles was der Mensch so braucht. Einer sucht etwas Bestimmtes, nein Unbestimmtes, alle andern helfen. “Wär’ das nicht was?” “Ach, ich weiß nicht.” Die Inhaber lassen den Interessenten Zeit. Dann kommen sie näher, erklären.


Auf dem Fußweg von Lourinha nach Area Branca, einer festgefahrenen Staub-Sand-Steinstraße, läuft für ne halbe Stunde ein Hund mit. Kniehoch, struppig, etwas feige grünliche Augen, immer auf dem Quivive, aber treu. Mal fürn paar Minuten verschwunden, dann wieder da. Beobachtet genau, wenn Isi mit ihm spricht. Gut erzogen durch Diät und Fußtritte. Portugiesische Hunde stellen sich nicht mit den Menschen auf eine Stufe wie die deutschen.


Mit Norberts Auto mal nach Lourinha. So gewaltiger Regen, daß der Parkplatz kniehoch unter Wasser steht. Mit größter Mühe gegen die Nachdrängenden rückwärts und schwitzend im feuchten benebelten Wagen rausrangiert. Beim Fußweg die Einwohner alle schöpfen sehen, Wasser aus Kellern und Eingängen. Wir holten Karten für die Rückfahrt nach Lissabon im Busbahnhof, etwas draußen. Ein Gebäu aus Stahl und Glas, das wir in der Wartezeit zu zweit umrunden. Gegenüber verfällt umgrüntes Mauerwerk, toter umbauter Raum. Dann wieder ein fürchterlicher Wasserfall, schlimmer als der erste. Irres Getrommel auf den Glasdächern. Eine ganze Ziegenherde taucht plötzlich auf dem Damm auf. Wir trauen unseren Augen nicht, die Herde kommt runter, die Tiere laufen, retten sich über die Schnellstraße. Autos warten geduldig. Unten konnte gleich weitergeschöpft werden.


Auskünfte sind die eine Sache, richtige Auskünfte die andere. Keiner will unhöflich sein und jeder erzählt irgendetwas. Statt biestiger Schweigsamkeit riskante Kommunikation. Man steht dann zwar nicht im Regen, aber schnell wieder in der Traufe. Die Straßenanschrift des Hotels schien in Lissabon nicht zu existieren. Die städtische Auskunft, offenbar nur dem Beamtenrecht unterstellt, ließ anders als die Passanten alle Höflichkeit fahren und erklärte ihre Suche für beendet. Nur der Taxifahrer wußte Bescheid. Jetzt waren wir natürlich ängstlich bezüglich des Fahrpreises und wollten von ihm einen Kostenvoranschlag. Er nötigte uns aber in sein Fahrzeug und verwies auf den Taxameter. Es war eine ehrliche Haut. Schwitzte im Stau mehr als wir und faßte sich ans Herz, so daß wir ihn beruhigen mußten. Und billiger als vermutet war es auch noch. Am Ende verabschiedete er sich mit Handschlag, was mich in eine echte Buster-Keaton-Situation brachte: auf dem einen Bürgersteig ein Koffer und die hilflose Frau, auf dem anderen der andere Koffer, dahinter ein hupender Bus und ich in der Mitte bei dem vergeblichen Versuch, ein Bündel Escudos in die enge Jeanstasche zurückzustopfen. Mit dem abrutschenden Umhängebeutel in der Linken reiche ich dem Fahrer die Rechte mit dem Scheinknäuel in den Fingern. Er drückt mir dieselbe, macht aber sonst keinen Gebrauch davon, sondern zeigt nur auf seine Augen: ich sollte nicht solche Werbung für meinen Reichtum machen.


Na, Lissabon, die Altstadt, die 28 und Belem mit seiner weißen Traumburg - Abenteuer blühender und verblühender Schönheit, allen schon bekannt. Wir trieben uns ein bißchen mehr in der engeren Umgebung rum. Morgens mit der Frühschicht in "unsere" Kneipe; Galäo und Brötchen mit Kotelett (Deibel!) oder Käse, gut und billig. Am meisten Spaß macht dann doch das Rumtreiben und Kaffetrinken in der Stadt. Vor allem, wenn die Unterkunft so gut liegt, daß man jederzeit die runden Füße von sich strecken kann. Zu Fuß nämlich die Treppe zur Burg rauf, da waren die Läden, in denen (vielleicht?) noch angeschrieben wird und wo man mit Pantoffeln einkaufen geht Ein Stoß an die Stapel und das Gemüse rollt hundert Meter abwärts. Faszination der schiefen Ebene führt zu wiederholter Erwähnung derselben. Fotografiere mit Vorliebe die alten und kaputten Fassaden - Geschichte drin, mit Wasser und Schimmel geschrieben. Wie lange?


Unbehagen beim Gedanken an das große Erdbeben, besonders beim Einschlafen. Könnt ja mal wiederkommen. Wo überlebt man eher? Hier oben im Vierten oder unten im Erdgeschoß?


Eine besondere Attraktion ist das berühmteste Cafe der Stadt. Es handelt sich um ein endloses Zimmer mit einer ebensolchen Theke an der Seite und mit dichtgepackten Marmortischchen gegenüber. So dicht, daß man die inneren Reihen nur erreicht, weil man dagewesen sein muß. Mit Schieben, Rangieren und Bitten kommt man durch. Ein Industriebetrieb mit maximaler Raumausnutzung. Dazu kommt hartgerechnete Personalbeanspruchung und nicht endenwollender Lärm aus Kaffeemaschinen und Geschirrverarbeitung. Touristische Pflichtfolter. Hundert Jahre wird es wohl her sein, daß dies ein Ort der Ruhe, der gemächlichen Information und Besinnung gewesen ist.


Tatsächlich, in blauem Neon steht geschrieben: Banco Espirito Santo. Göttlicher Mammon. Kein Jesus, der die Wechsler haut? Im Gegenteil, zähle hinterher die meisten Filialen. Komm, heiliger Geist und salbe den Saldo.


Schmale Gassen und weite weite Plätze. Im Zentrum die schwarzen Bürger, den ganzen Tag um die U-Bahn-Stationen herum. Kaum Satchmo-Frohsinn. Man spricht wenig und wenn, dann mit dem, der am weitesten weg ist, möglichst in der Ecke gegenüber. Auch sehr laut mit sich selbst, wobei der Ton oft ins Irre, Drohende geht. Die Schwarzen stehen, die Weißen gehen oder sitzen. Später werden wir zu Nachtflaneuren. Tief in einem Hauseingang hockt ein Bettler. Was ist das, hat der ein Kissen vorm Gesicht? Nein, Löwenhaupt, eine Lepraform. Afrika, Kontinent der Finsternis, ruft. Ein halbes Auge ist noch sichtbar. Sekundenlanger Infrarotblick brennt daraus hervor. Verdammtes Vexierbild, bleibt kleben. Längeres Schweigen folgt.


Unsere Pension liegt an soner engen, alten, gemütlichen Ecke wo noch Café, Kneipe, Werkzeugladen, Friseur usw zusammen sind, natürlich auch etwas düsterer, weil die Häuser hoch, eng und ziemlich schwarz stehen. Der Rasierer und Haarkünstler hat hohe Scheiben vor seinem Laden, in Eisen gefaßt. Will zehn Mark, nee danke, kennt unsere Preise zu gut. Um Mittag herum bieten scheinbar ebenso gemütliche Frauen ihre Dienste an, reden untereinander sachlich und freundlich, hat was vom Hausfrauennachmittag. Keine Abkassierer zu sehen, seltsam. Von der Härte des Geschäfts ist nichts zu merken.


Immer wieder zum Café, das auf den großen Pedro blickt. Auch ein durchorganisierter ertragreicher Betrieb. Schön, unter der Markise bei Regen die anderen rennen zu sehen. Für die Ober allerdings ein gewaltiger Job. Genaueste Einteilung; ein Streit ausgerechnet um unseren Tisch bricht aus. Erst nur zischend, dann mit einem kurzen Gebrüll abgeschlossen. Preise wie bei uns; mit einem Gläschen Porto hochgenommen: sechs Mark umgerechnet. Wieder trommelt eine Regenschütte auf das durchsichtige Vordach. Isi hat Mitleid mit den Rennenden, ich genieße die kommode Situation im Trockenen. Dann überschlagen wir die Reserven, diesmal ohne öffentliche Zählung. Keine Bedenken: “Wolln wir hier was essen?” Aber Isi ist es zuviel Rennerei und dann DIE Preise, nee! Gut, ist mir auch lieber, wir suchen abseits was Kleineres.


Da gibt es so Zimmer mit offener Wand, eine Kochstelle und drei Wackeltische. Rundum noch mehr davon, keine Unterbrechung der Ökonomie, dazwischen Handwerker, Buchläden, Andenken bunt gemischt. Natürlich hat auch die Mikrowelle Einzug gehalten, aber Verdorbenes wird nicht serviert. Hier und jetzt laufen die Geschäfte, aber Mario hatte es auch mal mit ner Kneipe versucht. Das war außerhalb von Hauptstadt und Saison, da sitzen die Portugiesen bei einem Gläschen vier Stunden, schmeißen kein Geld aus dem Fenster. Die Einrichtung wurde als öffentlicher Aufenthalts- und Kommunikationsraum angesehen und mußte mangels Umsatz bald wieder geschlossen werden.


Zwei Halbbrüder von Norbert sind da, ein heller und ein dunkler. Der Helle geht auch baden. Sagt, er paßt mit auf, weil Isi die Brandung unheimlich ist. Die rollt auch bei ablandigem Wind mit zwei, drei Meter hohen Brechern heran. Kann die Nordsee nur gelegentlich, so mörderisch sie auch sein mag. Was wohl erst bei Weststurm los ist! Schon jetzt wird man im Wasser rumgewirbelt und vollgesandet wie ein Schwamm, Augen, Nase, Ohren, Badehose. Imposant. Überhaupt Area Branca - die eigentliche „Weiße Stadt". Zu 90 Prozent besteht sie aus leerstehenden Urlaubshäusern. Keine Hütten, eher Anwesen. Immer durch Farbe, einen Bogen, einen Rundgang belebt. Nie der reine Würfel.


Den glatten Zweckbau sieht man selten, ja, in Portugal ist überall eine Kultur des Maßes fühlbar. Sogar der schräg und wie zufällig verbaute Platz hinter unserer Wohnung in Area Branca zum Wohlfühlen. Eine Terrasse mit weißen Stühlen, Rosengatter, Garage, Vorhang aus Perlenketten, Nischen mit Kaktus und alles auf hellem Kies. Dazu das richtige Verhältnis von Breite zu Länge, Fläche zu Bebauung.


Auch beim Essen Kultur, selten wird der Fisch schlecht behandelt. Sagenhaftes Festessen von Norbert angerichtet im Restaurant des großen Hotels. Das erinnert von außen an Boulogne sur mer aus „Muriel", aber unten sehr gemütlich. Mann, für 40 Leute blitzende Gläser, tolles Gedeck! Zuerst Musik vom Alleinunterhalter, aber dann zwei Profis aus der Geburtstagsgesellschaft, Saxo und Gitarre frei weg phantasiert und immer mit Sinn in. Entree mit Schalentieren, edles Zeug, Hummer mit Hammer, jaa und die Reisfischsuppe ein Gedicht, auf den Punkt zart und gar und mit der janzen Fülle des Jeschmacks.


Im Herbst trocknet nix in Portugal. Abends in klamme Betten, morgens in klamme Kleidung. Achtzehn Grad is ja nich kalt, aber auch nicht warm. Man braucht gegen die ewige Feuchtigkeit unbedingt eine Zentralheizung; hat aber kein Portugiese, dafür meist Rheuma. Elke und Mario haben sich eine eingebaut - sie haben sich den Traum des Nordmitteleuropäers verwirklicht. Innenhof mit Außentreppen, Rosenstöcke, überdachte Terrasse, Arbeitszimmer mit Bergwaldblick, große ebenerdige Wohnküche wie bei Bertolucci und sofort Wein, Weißbrot und Schinken auf dem Tisch. Wir haben kein Auto gemietet, werden aber immer irgendwo aufgegriffen und hingenommen. Mario macht Witze, Macho als Pantoffelheld, Elke lächelt und weiß Bescheid. Mit einem großen Messer schneidet er die Schinkenstücke, nicht Scheiben, von der Keule, das Weißbrot dazu und natürlich den Wein, so hält mans aus.


Diebe? Jedenfalls nicht nördlich von Lissabon und nicht zu dieser Jahreszeit. Zuerst waren wir etwas besorgt, Geld und Papiere immer rumgetragen und die Wohnung abgeschlossen. Am Ende haben wir überhaupt nichts mehr verschlossen, Brieftasche und Flugkarten auf dem Nachttisch liegengelassen, sogar Fenster auf und alles wiedergefunden. Saison vorbei.


Ein Ausflug nach Peniche auf die immer in der Ferne leuchtende Halbinsel kostet nur halbsoviel mit dem Zuckelbus. Schleifen und unmögliche Durchfahrten, jede Milchkanne. Kein Problem für den Fahrer, irgendwo zwischendurch zu halten und einen Bekannten aufzunehmen. Im Ort größte Schwierigkeiten einen Eiskaffee zu bekommen. „Kaffee" wird verstanden und „Gelado" auch; heraus kommt eine Tasse kalten Kaffees. Ich ordere das Eis extra und lasse es mir von der konsternierten Kellnerin in den Becher füllen. Hier wie in Lourinha die für die kleinen Städte unglaublich weitläufigen Hafenanlagen, aber kaum Verkehr darauf. Warten auf den Atlantik, wie die Aborigines bei Herzog auf ein Flugzeug. Horizonte willkommen, hier ist Platz! Ähnlich der Busbahnhof. Liegt in einem weißen weitläufigen Industriegelände etwas außerhalb, wo man eigentlich nur mit dem Auto hinkommt. Pfiffig für Leute, die keins haben.


Wieder mal werden wir auf der Straße aufgegabelt. Lehmanns, Florins, Fujikels mit uns in zwei Autos nach Peniche, aber weiter an die Nordwestseite. Kleine weiße Stadt auf dem Felsen, die Altbauten weise geschützt auf dem Osthang, die Neuen hoch im Wind. Noch mehr Atlantik als in A.B. Gischtlöwe mit Schaumpranken steigt haushoch aus dem Meer, brüllt und sinkt zusammen, vom Sturm zerrissen. In die Bucht weiter südlich rollen die Wogen lang wie Güterzüge, die Rauchfahne über den ganzen Kamm geblasen. Drei von uns gehen baden bei den Surfern. Die sind weiter außerhalb; klettern und rudern eine halbe Stunde für 40 Sekunden schräge Wogenfahrt. Ostsee ist bloß salzig, Atlantik bitter.


Touristisch spannend wurde es nochmal bei der Abreise. Unser Flieger war nämlich weg - seit zwei Tagen. Klar, in einem frommen Land hat der Teufel eine besondere Macht und Gegenwart. Und so hatte er uns beiden, während sie in der Brieftasche schlummerten, auf den Flugscheinen das Abflugdatum zurückgesetzt. Und das bei elf Stunden Wartezeit schon auf dem Herflug. Da nämlich mußten wir alle in Hannover nach dem Boarding nochmal aussteigen und unsere Gepäckstücke identifizieren - ein Passagier war nicht eingestiegen. In Amsterdam hieß es, Sie kriegen Ihren Anschluß, aber nach einer alptraumhaften kilometerlangen Rennerei durch menschenleere Gänge und Hallen machte die Maschine vor unseren Augen (und vor vier weiteren Passagieren) los und entschwand. Neun Stunden hingen wir auf dem Flughafen herum. Und nun heute am 22. die Teufelsbuchung. Isi war am Ende, aber ich war mit einer weiteren Nacht in der Stadt einverstanden und die gute Passagefrau sah wie es ihr ging und erledigte beruhigend das Formale.


Wir kriegten sogar unser altes Zimmer in der Pension Nova Goa, war echt wie ne Heimkehr. Trautes Zuhause. Und den Nachmittag nochmal in Belem, weiße Lichtburg am Rande des Ozeans. Steven des Eroberers hoch in den Himmel gebaut. Hinterm Horizont nur noch der Weltraum, Sturz in das Nichts, wer wagt die Fahrt? Aber jetzt gemächlich, die Design-Ausstellung konnte Isi auch gut sehen und kriegte ihren Kaffee. Immer knackig und aromatisch in Portugal. Wir wußten gamicht, daß der Dieter Rams der Designer von Braun war, mit dem Schneewittchensarg, den wir im Keller haben.