HAZ vom 19.03.07, Seiten 2


“Das Rauchverbot bröckelt”



Vor zweihundert Jahren gab es Probleme mit einem ähnlichen Verbot. War es nicht schon zu Goethes Zeiten ein Eingriff in die persönliche Freiheit; war es nicht eine Gefährdung der Arbeitsplätze der Eimer- und Besengarde? Konnte man nicht auf Freiwilligkeit setzen? Brachte es uns nicht um uralte Bräuche und war es nicht ein Einknicken vor den Phantastereien der Gesundheitsfanatiker, die ohne jeden Beweis Pest und Cholera darauf zurückführten? War es nicht gegen alle Vernunft - das Verbot, die Nachtgeschirre aus den Fenstern zu entleeren?


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Die Angst der Süchtigen um ihre Droge nimmt besorgniserregende Züge an. Unser Ministerpräsident befürchtet offenbar Randale, wenn die geplanten Einschränkungen greifen sollten. Dazu kommt die mitleiderregende Angst der Zuständigen vor Entscheidungen jeder Art. Die Folge könnte sein, daß durch Halbherzigkeit die Gesetze erst einzeln und dann massenhaft ignoriert werden und alles beim Alten bleibt.

Darum sollte folgender Vorschlag sorgfältig geprüft werden: kein Raucher brauchte anderen Menschen die Luft zu verderben, wenn man ihn für die Spritze gewinnen könnte. Im Ernst, es ist nur ein psychologisches Problem, eine Frage der Gewöhnung. Ein Gewinn für die Gesundheit steht außer Zweifel. Das wichtige Prestige ließe sich wahren durch perlenbestickte Gummibänder und durch steinbesetztes Gerät; Diamantsplitter empfehlen sich zum Besatz der Metallteile. Die Gegner der Gesundheitsdiktatur halten es zwar für ausgeschlossen, dieselbe Lässigkeit zu erzielen, die ein goldenes Feuerzeug hergibt - vor allem wenn eine aus herabgezogenem Mundwinkel hängende Zigarette entzündet wird. Aber keine Sorge, eine mit Grandezza in den Unterarm geschossene Nadel kann da mühelos mithalten.


Bleibt noch das Feuer, mit dem die Zivilisation begann; da hilft ein Blick in die H-Scene. Auch Nikotin und seine Abkömmlinge können eine Wärmebehandlung gut vertragen. Und wie heimelig wird allen Zuschauern, wenn ein Kundiger im halbdunklen Restaurant mit einem silbernen oder goldenen Löffel über der Kerze hantiert und elegant die Spritze aufzieht. Es müssen
natürlich noch einflußreiche Personen des öffentlichen Lebens gewonnen werden, die den Abhängigen den Weg in die reine Luft weisen. Hier käme ein Paar in Frage, das wie Franz Münte oder der MP selbst mit Britney Spears neben der Vorbildfunktion noch durch Volkstümlichkeit wirkt. In einer gemeinsamen Sendung mit familiärem Charakter könnten sie der Kanüle zum Durchbruch verhelfen.




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Natürlich haben die Menschen Angst vor der Lawine,

die über sie hereinbricht. Aber sie haben noch lange

nicht genug Angst, denn das was jetzt bereits abläuft,

bringt ja schon meteorologische und hydrologische

Veränderungen mit kurzfristig absehbaren und mittel-

fristig unabsehbaren Folgen. Es ist niemand da, der

die bisherige, geschweige die künftige Kontaminierung

unserer Nische rückgängig macht.


Daß wir in Deutschland die bevölkerungspolitische Ent-

spannung fürchten müssen, ist auch nur eine Folge der

Verdichtung, vielleicht die gefährlichste von allen.

Denn wir wissen, daß ausschließlich Menschen und nicht

Schmetterlinge oder Wale die Biosphäre verwüsten; wir

wissen, daß wir zuviel Menschen sind, aber - wir dür-

fen auf keinen Fall weniger werden. Es ist wie mit dem

Hamsterrad: wer langsamer läuft verliert an Flieh-

kraft und wird Fallobst.


Wer jetzt einwendet, wir müßten alle nur etwas spar-

samer sein und uns bescheiden, der hat die Struktur-

Gesetze der Gesellschaft nicht verstanden. Verdichtung

erzwingt Struktur, Schichtung, Steuerung. Gesteuert

wird durch Finanz- oder Kontrollmacht. Die erste gene-

riert Ungleichheit bis zum Bruch, die zweite Kontrolle

bis zur Erstickung. Von der Wallstreet bis zu den Ta-

liban bilden sich Spitzen absoluter Steuerungsmacht,

eine schnörkellose allmächtige Hierarchie. Für Gleich-

heit oder Bescheidung ist nur Platz im Märchen. Will

sagen, die Verdichtung destruiert nicht nur über den

Verbrauch, sondern noch mehr über die Struktur.



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Zu den Kindesmißhandlungen


Die einzige wirksame Maßnahme, nämlich Pflichtuntersuchungen

der Kinder, haben die Grünen mit dem Hinweis auf das Elternrecht

(solcher Eltern!) verhindert. Jetzt fordern ausgerechnet sie, die die

hohe Kunst des Nichtentscheidens auf die Spitze getrieben haben,

einen Untersuchungsausschuß. Es ist aber auch zum Heulen mit

den Politikern. Warum kann alles nur halb gemacht werden, warum

sind Entscheidungen für jeden Politiker so schwer? Wagt er auch

nur andeutungsweise eine zu treffen, knurrt schon der erste Amigo

von links. Springt er dann erschrocken nach rechts, bleckt dort der

zweite. Flüchtet er nach vorn, wird ihm schwerwiegendes

Bedenken entgegengetragen. Prallt er zurück, wird von hinten

getreten. Was bleibt ihm übrig? Er muß erklären, das Geld ist alle.

Er hält den Mund und arbeitet von jetzt ab lautlos, zieht nur die

Schrauben etwas an. Am Ende guckt der Kleine Mann ins

Portemonnaie, die Schule in den Abgrund und das Kind in die

Röhre und staunt: wie durch Zauberei, ohne jeden Lärm, ohne

Kommentar und Brimborium haben die Mittel abgenommen. Geht

doch - auch ohne Entscheidungen.



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Vergleicht man die Glaubensformen, ja die Lebenshaltung in der

zivilisierten Gesellschaft mit denen der Traditionalen, dann fällt

einem auf, das die letzteren viel moderner sind. Vor allem zwei

Aspekte verstärken diesen Eindruck: die Eschatologie, das Ziel

der Welt mit der Erlösung und der Ausgleich für Leiden und

Unrecht. Das eigentlich Primitive ist dieses Endziel der Welt, ihr

scheinbarer Zweck, den der Traditionale gar nicht kennt. Ohne die

Frage "was kann ich wissen" gestellt zu haben, verzichtet er auf

die unwissenschaftliche Voraussetzung der meisten religiösen

Spekulationen. Noch unsentimentaler ist sein Verzicht auf den

Ausgleich von Unbilden im ewigen Leben. Damit läßt er das

weichste und schwächste Wunschdenken der Zivilisation hinter

sich. Er wußte, bevor wir es durch Riesenmeteoriten, Tsunamis

und Supervulkane lernten, daß es niemanden gibt, der uns den

Bestand unserer Welt garantiert. Und daß es niemanden gibt, der das menschengemachte Elend dieser Welt vergütet.


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Wieder heißt es: die Politiker sind der Macht der Strom-/Fleischkonzerne erlegen. Aber jetzt möchte der Laie doch einmal wissen, worin diese Macht besteht, oder genauer, er / ich möchte wissen, was passiert, wenn die Politiker sich dieser Macht nicht beugen. Was machen die Konzerne konkret mit den Politikern, wenn ihre Wünsche nicht erfüllt werden, wenn die Volksvertreter sich zu Taten hinreißen lassen sollten, die das bewirken, was ihre Worte versprechen? Wovor haben die Vertreter Angst, wenn sie alles vermeiden was Folgen hat? Sicher, die Wirtschaftsfachleute lächeln über solche Fragen, aber der Laie will es nun einmal wissen.


Man spricht dunkel über die Macht des Geldes. Wir wissen, daß es eine Art Infrarot ausstrahlt, unsichtbare Wohltat unbedürftiger Freunde, an der man sich wärmen kann, auch wenn keine Kontobewegungen stattfinden. Aber es muß mehr sein, was einen dazu bringt, ständig seine eigenen Wähler zu balbieren und das Geld wieder und wieder auf den größten Haufen zu schieben. Mordaufträge wie in Rußland werden noch nicht vergeben, Kontobewegungen sind zu gefährlich - also bleibt wohl nur ein Konglomerat aus Drohung mit Enthüllungen, Liebesentzug und vielem Unbekannten, was es aufzuklären gilt.


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HAZ vom 2.9.06, Seite 6

"Warum hätte er...?"


Noch grotesker und abgebrühter als alles, was Frielinghaus (der für Günter Grass plädiert) erwähnt, ist ja die Tatsache, daß heute völlig unbehelligt Gaskammer-Lob und Rassenmord besungen werden. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, wäre es nicht absolut glaubwürdig dokumentiert worden. Hier wäre Gelegenheit gewesen, sich zu empören, hier, wo der der bösartigste Stumpfsinn Stimme und Organisation findet. Bequemlichkeit, Neigung, Profil aller Zuständigen und ihrer Kommentatoren helfen uns wieder ins Chaos: statt diese Glocke zu läuten, wählt man mit Bedacht ein längst gegessenes Thema und läßt sich gravitätisch über ein Versäumnis mit der Wahrheit aus.



*********************************************************HAZ vom 30.06.2006, Seite 5

"20 Prozent mehr für die Vorstände"

der Sparkassen


Stand in der Sparkassensatzung nicht etwas von "Gemeinwohl"? Kann natürlich sein, daß dieser Begriff nach der Heiligsprechung des Gewinns seine Konturen verloren hat. Für Sparkassenvorstände könnte einst damit gemeint gewesen sein, daß sie nicht nur ihre Taschen gebeult, sondern auch die Kaufkraft der Mitarbeiter gestärkt, die Arbeitsplätze vermehrt und gesichert und sinnvolle Investitionen gefördert haben. Komisch, danach wurde nicht einmal gefragt - die Macht der Konzentration verändert allmählich sogar die Sprache.


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Also so geht das nicht! Am Gammelfleischskandal sind viel zu wichtige

Leute beteiligt, als das man hier juristische Schnellschüsse abgeben

dürfte. Diese Leute haben sich auf Herrn Schnappauf verlassen und

dürfen nicht durch seinen Rücktritt düpiert werden. Man sollte auch nicht auf Teufel komm raus bewährte Gesetze ändern oder gar unter

Umgehung des Datenschutzes Namen an die Öffentlichkeit zerren. Viel

vordringlicher ist es, erst einmal die Hektik aus der Angelegenheit zu

nehmen, damit der Verbraucher sein Fleisch ohne Angst genießen kann.

Auch die Schnüffelei in den Kühlhäusern muß beendet werden.

Der wahre Schaden besteht nicht in ein paar verirrten Etiketten, sondern in der Kaufzurückhaltung der Kunden. Es geht nicht um einige

Geschmacksneurotiker, Herrschaften, es geht um Geld!



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Eine starke Lobby versucht die Folgen der Klima-

Änderung herunterzuspielen, indem sie den Forschern,

insbes. dem Prof. Mann Fehler bei seiner Datenerhe-

bung nachweist. (Spiegel-Online v. 28.7.)



Mann hat eine prinzipielle logische Schwierigkeit:
Er muß zeigen, daß es keinen natürlichen Einfluß
auf die Klimaveränderung gibt, wenn er alles, was
ganz offensichtlich geschieht, auf Menschgemachtes
zurückführen will. Das bedeutet, er muß Einflüsse
leugnen, die vielleicht noch garnicht bekannt sind.
(Dazu gehören beispielsweise die Ursachen der Eis-
und Warmzeiten.) Trotzdem spricht eine große Wahr-
scheinlichkeit für Manns Thesen, da der Treibhaus-
gas-Ausstoß mit der Erwärmung gut korreliert. Vor
allem müssen wir Gegenmaßnahmen treffen, ganz
gleich, von wo die Katastrophe sich nähert. Gerade

das wollen die Energiekonzerne nicht.

Damit haben nun die Gegner Manns auch ein logisches
Problem. Sie postulieren, da sich in der Ablei-
tung Manns Fehler finden, können wir weiterma-
chen mit dem hemmungslosen Verbrauch. Dieser Bruch
ist weit schärfer, als derjenige in Manns Logik,
wird aber demokratisch gekittet. Da keiner sparen
will, gibt es auch keine Klimaänderung.


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Der Untergang



Hitler als Mensch zu sehen, heißt nicht, seine Folgen zu verkleinern. Es heißt, ihn in seiner Durchschnittlichkeit zu begreifen, heißt, ihn nicht als überdimensionales Monster zu sehen, sondern als defizitären Menschen. Er hat nicht zuviel von irgendetwas, er hat zu wenig; extrem ist allenfalls seine Durchschnittlichkeit. Die aber wurde gehärtet im Elend und in der Einsamkeit der Männerheime. Der extreme Durchschnitt ist seine eigentliche Domäne. Er macht die erste Regung zum Maßstab; er denkt nur so weit wie das Wort reicht. Er denkt wie die Mehrheit. Während er die rhetorischen Mittel genial einsetzt, sind die intellektuellen beschränkt. Er steht nicht über dem was er sagt, sondern mittendrin; der Stammtisch ist sein Horizont, wie auch sein Werk verrät. Das ist seine Stärke als Führer, wie seine Bewunderer verraten. Emotional gilt das Gleiche. Bruno Ganz hat gesehen, daß Hitler sich nur im Nahbereich, dort wo er hinsehen konnte, wie ein Mensch benahm, daß ihm aber für alles was dahinter lag, nämlich das Schicksal von Millionen, jeglicher Sensor fehlte. Es gab keinen Unterschied zwischen Freund und Feind, auch emotional nicht, da in dieser Wüstenseele alle Menschen nur Mittel zum Zweck waren.


Auch der Versuch, ihn sozusagen von innen zu begreifen, führt nur auf einen Mangel. Eine Bosheit, die das Geschehene solcher Dimension vollbringt, ist nicht vorstellbar. Adolf Hitler fehlt vollständig die Fähigkeit das zu begreifen, was er anrichtet. Der Sektor des Emotionalen, der Kommunikation und Gegenseitigkeit des Menschlichen betrifft, ist dem dumpfen Brüten in den Männerheimen zum Opfer gefallen.


Es geht bei H. nicht um monströse Fähigkeiten, sondern um hierarchische Stellung und die Gesetze der Hierarchie. Sie ist es, die aus persönlichen Defekten menschliche Massentragödien macht. Natürlich ist es nicht der Diktator selbst, der Schlachten gewinnt, Paläste baut, oder Aufstände dirigiert; es sind diejenigen, die der hierarchischen Steuerung unterliegen. Die schieren Massen, die bewegt wurden, das ungeheure Elend, das die Folge war, wird irrtümlich mit der Kraft des Einzelnen gleichgesetzt, von dem die Befehle ausgingen. Das Problem der Massenbewegung ist aber nicht die Größe oder Stärke des Führers, sondern der Mechanismus der Lenkung und dessen Hauptbestandteil, die Norm. Auch die oft beschworene Durchsetzungsfähigkeit H's ist hierarchischen Ursprungs, da sie aus gesicherter Position und von oben wirkt. Bevor Tiefenpsychologie bemüht wird, sollte also Struktur und Gesetz der Hierarchie (s. www.hierarchie-und-globalisierung.de) untersucht werden. Das ist der Vorteil des Films: er zwingt uns, da die Person nicht annähernd ihre Wirkung erklären kann, die strukturellen Ursachen zu finden.




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Nochmal Hitler aus Anlaß eines Liedes, das

“Der Bonker” heißt und sich die “menschliche” Dimension vornimmt



Führerverehrung ist weder gemeint noch zu verstehen.

(Die Frage war, ob das Liedchen eine Nazi-Produktion sein könnte

oder eher das Gegenteil)


Eine Kritik oder gar eine Verdammung des "Führers" ist das Stückchen aber auch nicht. Es ist eher eine Verkackeierung, eine Verscheißerung. Dabei nimmt der Verfasser sich noch das wichtigste Thema in Bezug auf die Neonazi-Argumentation vor: die Trümmer des Weltkrieges. Denn daß der größte Staatsmann aller Zeiten Deutschland als Trümmerfeld hinterlassen hat, ist ein Brocken, den auch die Theoretiker der braunen Szene nicht so leicht wegkriegen.


Nur daß man angesichts der Nazi-Verbrechen (deutsche Verbrechen sagt man im Ausland) keine Witze machen kann / darf, könnte eingewendet werden. Aber dazu muß man sich die Figur des Führers genauer ansehen. Groß war an ihm allenfalls die rednerische Begabung. Man darf ja nicht vergessen, daß das irre Geschrei, das wir immer hören, in ganz normalem ruhige Ton begann. "Als mir heute morgen der russische Botschafter auf der Treppe zum Reichstag begegnete..." kein Satz zum Brüllen, aber ein anschaulicher Beginn, von dem aus der Faden gesponnen wurde. Das steigerte sich im Laufe der Rede zu sarkastischen oder empörten Stimmfärbungen, ging über gewaltige Anklagen und Gesten in wahre Schimpfkanonaden über und endete dann in dem bekannten Irrsinn. Mehr war nicht, denn inhaltlich oder philosophisch vertrat er sowohl mündlich als auch schriftlich nur den extremen Durchschnitt. Alles was der kleine Mann mangels vernünftiger Ziele in Angriff nimmt, die Rasse, das Andere, das Schwache, das machte Adolf zum Butzemann und daher kam der gewaltige Schub seiner Bewegung.


Wenn man Hitler persönlich, also auf diese (des Liedchens) Art oder so wie es Chaplin gemacht hat, auf die Schippe nimmt, liegt man nach meiner Meinung vollkommen richtig. Seine geschichtliche Leistung ist darin begründet, daß er ein defizitärer Mensch war, daß er sich nicht vorstellen konnte, was man mit bestimmten Maßnahmen anrichtet. Seine Größe an den Verbrechen zu messen, geht auch fehl, weil diese erst durch die Gesetze von Norm und Hierarchie aus der Vervielfältigung der Defizite hervorgingen. Und von Größe (auch im Bösen) ist in dem Video ja kein Wort gesagt; im Gegenteil, er bewegt sich wie ein Fatzke und soll auch so dargestellt werden.


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Blockbuster


In angelsächsischen Filmen gibt es eine Tendenz, Menschen, besonders solche von etwas ängstlicher Verfassung, zunehmend unter Druck zu setzen und sie über alle Maßen zu quälen, zu schrecken und zu jagen. Meist beendet eine Art Erlösung ihre Qualen; dies geschieht aber oft zu einem Zeitpunkt, zu dem der normale Mensch schon längst im Wahnsinn angekommen wäre. Im Verlauf der Handlung wird nämlich ununterbrochen optisch und akustisch auf den Nerven sowohl des erkorenen Opfers als auch des Zuschauers herumgetrampelt, ohne daß sich menschlich mehr ereignet als eine ständige Steigerung von Ängsten. Zugegeben, meist sehr phantasievoll; sämtliche Asservate des Schreckens werden nach Bildern durchgeplündert und verwertet.


Dieses Muster ist bereits von Dickens totgeritten worden. Bei ihm werden vor allem die kleinen Leute einem schrecklichen Fegefeuer von Elend und Schikane unterworfen. Sie müssen dies moralisch unversehrt überstehen, sie dürfen ihre Rache auf keinen Fall selber üben, sondern sie allenfalls vom Schicksal vollstrecken lassen, um der Erlösung teilhaftig zu werden. Was aber bei Dickens noch der Ehrenrettung der Kleinen Leute - Unglück war bis dato ja Schuld - dienen sollte, wird in Hollywood zum reinen "Durchhalten" degradiert. Es geht nicht mehr um einen höheren Zweck, nicht um Gott oder die Liebe, sondern um das Überleben. Die psychische Verfaßtheit, die solche bare Kumulation des Schreckens als unterhaltsam empfindet, ist (mir) allerdings ein Rätsel. Das gilt vor allem für den Erfolg dieser monotonen Psycho- und Materialschlachten, von denen man letzten Endes nur genervt wird.


Im Gegensatz dazu, manchmal auch ergänzend, ist in Hollywood eine seltsame Zwittergestalt zwischen Führer und Übermensch geschaffen worden. Es gibt nur einen, der die Welt retten kann, aber der wird nicht von den Massen auf den Schild gehoben, sondern selbst ernannt oder von einem kleinen erlesenen Zirkel ausgewählt. Da es sich bei ihm um den aktiven Helden handelt, sind seine Duldungen nur das Juckpulver, das ihn auf die Rache-Palme und in spektakuläre wenn auch moralisch saubere Katastrophen treibt. Aber er muß nicht nur durchhalten, sondern gestalten und er tut es - manchmal sogar anonym - für die erlösungsbedürftige Menschheit. Er schafft Gerechtigkeit, ohne sich den trockenen Begründungen und abstrakten Definitionen dafür auszusetzen. Man fragt sich nur, woher er die Motivation dazu nimmt, denn weder ist ein Grund dafür erkennbar noch hat er die Fähigkeit, ihn auszudrücken.



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Die Politiker warnen jetzt vor Unruhen wegen der Zuwanderung. Das hat noch gefehlt. Nachdem sie jahrzehntelang alles aus Bequemlichkeit versäumt haben, was nötig gewesen wäre - zB Arbeits- und Aufenthaltsverträge wie in der Schweiz, Spracherwerb, Durchsetzung der Schulpflicht usw. - soll jetzt verstärkt Integration betrieben werden. In was für eine Gesellschaft soll integriert werden? In eine, der die Globalisierung gerade Scharen von Überflüssigen beschert! Mehr braucht man normalerweise nicht für einen Krieg. In Frankreich sehen wir: nicht einmal der uniformierte Schreihals ist nötig.


Und wir haben Krieg. Allerdings nur einen Halben. Warum? Weil die Waffen der einen Partei zu groß sind, um sie einzusetzen und die der anderen zu klein, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Die Folge ist, daß dieser Krieg kein definiertes Ende hat - wahrscheinlich überhaupt keines.


Die wahren Ursachen von Kriegen wurden in Europa bisher verschleiert dadurch, daß es zu viele kriegslüsterne Meinungsführer, Gewinnler und Interessenten gegeben hat. Ihnen, die lauthals ihre Ziele verfolgten, konnte man leicht die Verantwortung zuschieben. Indessen ist für den Krieg und eigentlich alles andere Elend letzten Endes die Verdichtung - immer bezogen auf Organisationsgrad und Ressourcenstrom - verantwortlich. Sie ist die Ursache aller Ursachen. Ohne Verdichtung (bezogen auf den Organisationsgrad wohlgemerkt) gibt es keine Abstoßungs-Emotionen und keine strikte Organisation, keine Ausbeutung und keine Konzentration. Aber das alles setzt ein und wird spürbar mit der Verdichtung. Der Schreihals ist dann nur noch der Anlaß.


Es ist der Druck, der die Emotionen treibt. So bringt auch nicht allein der Rassismus die Menschen auseinander, sondern die Verdichtung bringt den Rassismus hervor. Die Abstoßungskräfte wachsen in einem abgestuften Prozeß, der unter erträglichen Umständen in gehobenen Talkshows mit der philosophischen Erörterung von weltanschaulichen Unterschieden beginnt, der über die Feststellung von Unvereinbarkeiten weiter anwächst, sich an Symbolen, an Kleidung und Uniform festmacht und schließlich an der Hautfarbe austobt - je nach dem Maß, das er, der Druck, erreicht.


In diesem Zusammenhang spielt es überhaupt keine Rolle, ob beispielsweise der Islam eine friedliche oder kriegerische Religion ist; der Islam ist die Matrix der Verständigung unter den Gedrückten und das Zeichen der Unterscheidung, der Stempel der Feindschaft zu den ANDEREN. Unerachtet seiner Inhalte wird er damit, genauso wie einst die Religion der Liebe, nach Bedarf zum Kriegsruf und Brandsatz.



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“Holländisch / Deutsch auf dem Schulhof”


Diese Diskussion steht mehr als vollstens in der Tradition (vor allem) deutscher Politik und Verwaltung. Das Motto heißt wieder einmal, nur keinen Grund zur Veranlassung geben und nichts entscheiden. Weder kann man eine solche Forderung durchsetzen, noch kann man sie überwachen, ja, Ist und Soll läßt sich nicht einmal dokumentieren - es sei denn man übernimmt das erprobte, letzten Endes doch nicht bewährte System der Inoffiziellen Mitarbeiter.


Ein Jungbrunnen für alle Bildungs- und sonstigen Politiker tut sich auf. Man darf diskutieren ohne definierbares Ziel, ohne feste Begriffe, ohne Durchführungsmöglichkeit, völlig fruchtlos aber emotional schwer aufgeladen. Ganz so, als würde man sich über Schulsysteme streiten und hätte noch nicht einmal geregelten Unterricht. Würde? Hätte? Es IST so!


Dabei ist mit der Sprache alles so einfach: Sprach- und Staatsbürgerkunde gegen cash (damit es was wert ist und nicht vom Steuerzahler kommt), einfache aber praxisnahe Prüfungen, dann Aufenthaltsgenehmigung. Das Ganze auch für Frauen, damit diese nicht als Haustiere gehalten werden können. So machens alle anderen, eine klare Sache. Aber Klarheit bei uns - ach je, das ist ja das Problem.



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April 2006


Herr Busemann führt, so wie eine Führungskraft es soll, idealtypisch vor, wie man Lehrer und lernwillige Schüler, d.h. die Schule, systematisch zermürbt. Ein Minister darf alles sagen, aber manchmal muß man ihm erklären, was er gesagt hat. Er hat gesagt, die Erpressung von Schülern durch Schüler hat nicht auf dem Schulgelände stattgefunden. Wenn es ihm derart gelingt, Gewalt und Verweigerung aus der Schule hinauszudefinieren, dann hat er keinen Grund zur Veranlassung mehr und die Lehrer haben ihn nicht mehr zu behelligen. Gut für ihn, aber die Folge: ganz unten wird weitergequält (dein Schmerz ist nicht mein Schmerz), weniger tief unten auf der Lehrerebene wird resigniert; die Rektoren oben melden Ruhe an der Front und ganz oben wird stolziert, gack, gack, gack.



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Das Bild, das Justiz und Gesetzgeber bieten, scheint nicht ohne Grund als täterfreundlich zu gelten. Alte Nazis, neue Nazis, Stasi-Kader, Kampfhundbesitzer, Schläger, ausländische Straftäter, Kinderschänder aller Schichten und andere, vor allem organisierte Gewalttäter werden kaum angemessen belangt. Bei solcher Klientel hat die Polizei Personalmangel, die Justiz den Gesetzgeber und der Gesetzgeber den Wähler als Schild und Schuldigen. Noch weniger kann man offenbar diesen Täterkreis trotz erwiesener Gefährlichkeit an der Vorbereitung seiner Taten hindern. Heißt es im ersten Fall häufig, da kann man nichts machen, hört man im Zweiten, es ist ja noch nichts passiert. Das wäre hinnehmbar, würde man nicht bei Einzeltätern und Schwächeren, vor allem bei den Opfern die ganze Strenge des Gesetzes walten lassen. Sehr deutlich wird diese Tendenz bei der Ausweisung von Ausländern: da hält sich die Staatsmacht vorwiegend an gut integrierte, familiär eingebundene und gewaltfreie Bürger, während sie von Gewalttätern gern die Finger läßt.


Die Sache ist ernst und es ist nicht nur dahingesagt, wenn man eine Neigung zum Faustrecht diagnostiziert. Bei den Altnazis konnte man noch den Korpsgeist verantwortlich machen. Zu viele Genossen und Kommilitonen saßen mangels neuer Fachkräfte im Apparat. Aber bei der Stasi läßt sich die Kumpanei nur noch tiefenpsychologisch erklären. Sie waren ja die Speerspitze des kommunistischen Gegners, der Erbfeind seit einem Jahrhundert. Und trotzdem wurden sie so gut wie überhaupt nicht belangt, sondern liebevoll versorgt. Einziger rationaler Grund könnte die Unantastbarkeit des ersprießlichen Beamtenrechts gewesen sein. Aber die Untaten waren doch so offensichtlich, daß das nicht ausreichen kann. Auch die Sympathie der Ordnungsmacht für eine ordnungsliebende Spezies ist kein Grund, wenn man das Zartgefühl der Gesetzgeber gegen Kampfhundbesitzer berücksichtigt. Letztere fallen ja nur selten durch Ordnungsliebe und Gesetzestreue auf.


Was bleibt dann noch? Es muß tatsächlich eine tiefe unbewußte Neigung zum Faustrecht geben. Diese durchgehende Bevorzugung von Gewalt ist kaum anders zu erklären. Sie wird natürlich stark unterstützt von der Bequemlichkeit, die damit verbunden ist. Der Gewalttäter, zumal der organisierte wird sofort von sieben Anwälten umtanzt, er kann Zeugen bedrohen, Gutachter beeinflussen, Beweise be- und wegschaffen, alles vielleicht nur graduell, aber doch wirksam. Es ist außerordentlich mühselig, dagegen anzuarbeiten und das Gleichgewicht zu einem schwachen verletzten Opfer herzustellen.



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HAZ vom 16.05.06, Seite 2

"Verdrängtes Leid"

über das Wiedererwachen der Stasi


Nichts ist nötiger als die dort eingeforderte Aufarbeitung. Es muß einfach bekannt gemacht werden, wie die Stasi gearbeitet hat. Sie hat Schuldige nicht gesucht, sondern produziert. Die Gruselkabinette, die ein Stasi-Offizieller in logischer Selbstüberholung so getauft hat, müssen noch mehr als bisher öffentlich gemacht werden.


Aber es muß auch über Geld geredet werden. Immer noch haben die Opfer dieser Maschine um Entschädigungsbeträge zu kämpfen, die nur lächerliche Bruchteile der Stasi-Renten ausmachen. Die von Herzen kommende Versorgungssolidarität und die großzügige Gewalttoleranz unserer Verantwortlichen hat hier nach der pensionsmäßigen Bewältigung der Naziverbrechen einen neuen Höhepunkt erreicht. Korrekturen sind nötig und machbar, denn die Gesetzeslage, hinter der man sich so gern versteckt, ist ja auch gemacht.



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Zum Spiegel-Bericht online vom 16.6.06

über Unfälle in Krankenhäusern


Will noch jemand Pfleger werden? Einen Beruf ergreifen,
den er demnächst ohne Entlohnung ausüben darf? Wo es bald
doppelt so viele Demente und Bewegungsunfähige gibt wie
heute, aber nur halb soviele Pfleger? Wo man nur verlieren
kann, zuerst beim Patienten, dann bei seinen Angehörigen
und endlich beim Staatsanwalt. Sprechen wir es aus:
das wird Euthanasie, nur - weil keiner es zugeben will -

ohne Betäubung!



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Dichte und Organisationsgrad


Verdichtung ist der Motor der Gesellschaft. Ohne Verdichtung keine Industrie, keine Verwaltung, kein Krieg.


Der strikte und für alle gesellschaftliche Entwicklung maßgebende Zusammenhang zwischen Dichte und Organisationsgrad beginnt sich bereits bei rein physikalischen und physischen Betrachtungen zu erschließen. Sobald zwei Individuen eine Gruppe bilden, kann zunächst nicht mehr der eine den Platz des anderen einnehmen. D.h. abgesehen von allen weiteren psychologischen, soziologischen, gruppentheoretischen Erwägungen ist durch den Zusammenschluß bereits von jedem Mitglied ein Verzicht auf ein Stück Freiheit erforderlich. Es hat dazu den Umgang mit Gleichen zu erlernen; es hat neben der Umwelt noch den anderen einzubeziehen. Weitere Einschränkungen ergeben sich durch den gemeinsamen Verbrauch, durch die Wach- und Arbeitsteilung, durch psychische Verfaßtheiten, durch soziale Sättigung und Rangfragen. Jeder dieser Punkte bietet aber auch im Sinne des Überlebens einen Vorteil durch Verdoppelung der Arbeitskraft, durch Spezialisierung, durch Steuerung und so weiter. Auch bei weiterem Wachstum der Gruppen gibt es Probleme und Lösungen. Es ist aber müßig, über Vor- und Nachteile in Bezug auf diese Entwicklung nachzudenken, da sie bei steigender Dichte einfach erzwungen wird.


Organisationsgrad sei in diesem Zusammenhang der Stand der Technik, die Steuerbarkeit der Individuen, d.h. die Striktheit der Hierarchie und die optimale Zahl ihrer Stufen. Desgl. sei er die Offenheit der Hierarchie für Innovation und Intuition, die Ausbildung und die Ausrichtung der Individuen auf ein Ziel, die Zahl und Wirksamkeit der Zusammenhänge (auch bei der Kommunikation) also alles was das Wort für sich schon hergibt.


Eine Gruppe, die eine bestimmte Größe überschritten hat, ist zur Einführung der ( zunächst einstufigen) Hierarchie gezwungen. Genügen würde dazu die völlig zwanglose Übertragung einer temporären Steuerungsvollmacht an einen Signalgeber. Stattdessen wird hier praktisch ohne Ausnahme eines der härtesten Prinzipien der Evolution geritten. Mit aller Kraft, teilweise auf Leben und Tod wird spätestens seit den ersten Säugern um die Steuerungsvollmacht gekämpft. Nicht nur das, weniger blutig aber oft genauso hartnäckig werden darunter die Ränge ausgefochten. Der Selektionsvorteil mag in einer einigermaßen dauerhaften Bereichsordnung liegen, einer Ordnung nach Stärke und Führungskraft. Jedenfalls ist die Ordnung, deren Notwendigkeit wir mühsam nachzuweisen versuchen, in der Natur eine harte, uralte und offensichtliche Selbstverständlichkeit. Jedenfalls scheinen die Voraussetzungen der Ordnungsbildung schon lange in den Individuen als Rang- und Hierarchieverständnis, um nicht -bedürfnis zu sagen, angelegt worden zu sein.


Ein Beispiel soll die Bedeutung des Zeitverlaufs bei der Entwicklung von Dichte und Organisationsgrad herausstellen. Nehmen wir eine Population, vorgestellt als Horde, Kompanie, Zuschauermenge oder Demonstrationszug, die sich von einer Gefährdung ereilt sieht. Dieser Gefahr kann sie durch eine Enge entkommen, die aber nicht alle Individuen zugleich durchläßt. Damit steht sie vor der Notwendigkeit sich in einer Form zu organisieren, die ihr bzw. möglichst vielen Individuen erlaubt, die Enge zu passieren. Man hat sich beispielsweise in Reihen aufzustellen. Schafft man dies nicht in der verfügbaren Zeit, stürmen alle, sich verkeilend auf die Enge zu, was das Ende der Population bedeutet. Reicht die Zeit, sich zu ordnen, reicht sie bei Wassermangel zum Brunnenbohren, beim Wintereinbruch zum Holzsammeln, in der Evolution zur Bildung von Pelz oder Brutpflege, dann überlebt die Population.


Was passiert nun, wenn die Verdichtung in menschlichen Gesellschaften den Organisationsgrad überrollt, wenn der Organisationsgrad sinkt, wenn er die Fähigkeiten der Individuen überfordert, wenn er über das zur Versorgung erforderliche Maß übersteigt oder wenn er im Gleichschritt mit der Dichte zu lange marschiert? Nun, der erste Fall wird gerade in Afrika und der zweite durch die Geschichte, insbesondere die Zusammenbrüche der Großreiche exemplarisch vorgeführt. Der dritte Fall, die Überforderung endet eher in Revolution als im Krieg. Für die Steuerbarkeit ist zunehmende Ungleichheit eine Voraussetzung, die insofern eine Steigerung des Organisationsgrades bedeutet. Die Not aus Ungleichheit bewirkt jedoch das Gegenteil von Lenkbarkeit, wenn sie ein gewisses Maß überschreitet. Dann entziehen sich die Gesteuerten ihrem Status und bringen die gesamte Ordnung zum Einsturz. Geht viertens der Organisationsgrad über das erforderliche Maß (zB durch Rüstung) hinaus, dann steht eine Phase der Expansion an. Durch Bürokratisierung dagegen kann der Ressourcenstrom abgewürgt werden, was das Ende des Bereichs bedeutet. Werden beide Größen im Gleichschritt zu lange gesteigert, kommt der Ressourcenschwund als endgültiger showstopper ins Spiel. Beim Öl genügt bekanntlich schon die Aussicht darauf zum Kriegseintritt. Was eine tatsächliche Erschöpfung bringt, wagt man sich nicht auszumalen. Es dürfen aber nicht nur Platz, Futter und Energie als Ressourcen gewertet werden; der Schwund von Sicherheit, Freiheit und Gestaltbarkeit, von Distanz, Nähe und von Zukunft hat dieselben Auswirkungen. Kurz, es ist die Differenz zwischen Dichte und Organisationsgrad, die über Sein und Nichtsein von Gesellschaften entscheidet.


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Schon wieder: gegen Kampfhunde, Nazischläger und Konzerne, gegen Kassenärztliche Vereinigungen, Raucher, Menschenhändler und Bruchinvestoren ist unser Staat völlig machtlos. Er übt sich in unüberwindlicher Apathie, fordert aber die Bürger zur Tat auf. “Gesicht zeigen”, “nicht schweigen”, “der Gewalt entgegentreten”, und so weiter tönen die Sprüche. Da hat es dann die Angestellte eines Altenheimes gewagt, gravierende Mißstände bei ihrem Arbeitgeber öffentlich zu machen - nicht ohne sie ihm vorher schriftlich anzuzeigen. Was tun unsere Helden von der juristischen Front, die eben noch laut zum Kampf geblasen hatten? Sie erklären die einzige Reaktion der Anstalt für Rechtens, eine Reaktion, die nicht etwa in der Beseitigung der Mißstände, sondern in der fristlosen Entlassung der Angestellten bestand. Das sind so deutsche Geschich-ten; sie lauern hinter den würdigen reglosen Masken derer, die sie ändern könnten, aber aus Gründen der Arbeitsökonomie, sprich Faulheit nicht wollen.


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HAZ vom 24.07.06, Seite 14

zu einem besonderen Leserbrief mit dem Titel:

“Warum erzwingen?”


Man soll ja keine Kommentare kommentieren, aber der Brief “Warum erzwingen?” könnte eine schöne Satire auf die ganze Rauch-Diskussion sein. Sie würde für sich sprechen, wenn die dort aufgeführten Argumente nicht von allen Süchtigen so gern und ernsthaft kolportiert würden. Der Brief paßt hervorragend in die deutsche politische Landschaft, wo jede Entscheidung, die Folgen haben könnte, durch ihre Ausführungsbestimmungen unterlaufen wird. Im Ergebnis findet sich immer eine leichte Hinneigung zur Gewalt, zum Täter, zum gewohnten Mißstand, ganz gleich, ob es um Altenheime, um Kampfhunde, um Schläger oder wie hier um Belästigung geht.


Besonders genau werden in dem wohlüberlegten Brief die wiederkehrenden Muster herausgearbeitet. Da ist zunächst die beleidigt Leberwurst, der Liebesentzug. Nicht die Belästigung soll eingeschränkt werden, sondern dem Unschuldigen wird sein harmloses Vergnügen mißgönnt. Nicht der Rauch soll vermieden, sondern der Süchtige soll gestraft werden.


In den Bezug gehörte eigentlich auch die Suchtausübung als Freiheitsrecht. Der Terminus Freiheit ist dermaßen positiv besetzt, daß er alles adelt, was in seinen Geltungsbereich genommen wird, einschließlich der Freiheit, einen Haufen aufs Buffet zu setzen. Diesen Aspekt hat die Verfasserin außer Acht gelassen.


Dann geht es auch nicht etwa nur um Rücksichtnahme (übrigens bei der einzigen Sucht, die jeder Anwesende mitmachen muß), nein, der Süchtige soll sich opfern für die Verbesserung der ganzen Welt. Wenn also die vorsichtige Bitte geäußert wird, auf das Setzen besagten Haufens zu verzichten, entgegnet der Süchtige, er sei nicht für die Kanalisation der Stadt verantwortlich. Man muß das erläutern: es genügt wirklich, die Belästigung einzustellen. Nebenbei, wenn der Raucher überredet werden könnte, sich seinen Stoff mit Hilfe einer Spritze zuzuführen, wäre die ganze Diskussion erledigt. Hier ist die Werbewirtschaft gefragt, die das Prestige perlenbestickter Gummizüge und diamantenbesetzter Spritzen fördern muß.




Das dritte und bildungsfernste Argumentationsschema enthüllt sich in den Worten von der gegenseitigen Rücksichtnahme. Man könnte mit der Verfasserin unterstellen, daß die Ironie wie von selbst hervortritt bei der Frage, auf wen der Nichtraucher Rücksicht nehmen soll. Aber nein, man muß die Frage deutlich stellen und angesichts der häufigen Verwendung des Schemas auch noch die Antwort geben: der Nichtraucher soll darauf Rücksicht nehmen, daß auf ihn keine Rücksicht genommen wird.


Zum Schluß noch ein Extra-Lob: die Verfasserin nimmt mit ihrem Brief nicht nur unsere gesetzgeberische Praxis aufs Korn, sondern auch die Nachbeben der Kritischen Ideologie, die ein ganzes Zeitalter bestimmt hat. Das ist von Bedeutung, denn noch heute meinen viele Menschen der damals gebildeten Ichichich-Fraktion, die Freiheit der Anderen sei eine Chimäre und viele Schüler meinen, der Lehrer habe sich jeglicher Repression zu enthalten und daher nicht nur den Unterricht, sondern auch die Mühe des Lernens zu übernehmen. Desgleichen gelten Krach, Mobbing und Gewalt als Ausübung von Freiheitsrechten, die dann gesprächstherapeutisch nach obigem Muster der gegenseitigen Rücksichtnahme behandelt werden.



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Was habe ich mehr, wenn ich in Dubai das Hotelfrühstück einnehme, wenn ich in Nizza am Strand sitze, in Hawaii surfe oder in Patagonien wandere? Was mehr als wenn ich auf der Lister Meile vor dem Schaufenster vor Tchibo stehe, bei Ecco vor meinem Kaffee auf dem Bürgersteig-Barhocker sitze ? ...oder noch langweiliger, wenn ich nur zum tausendsten Mal das durch nichts auffallende Pflaster zur Haltestelle begehe, an der unauffällig verputzten Wand entlang, einem kaum begründbaren Zweck zuliebe. Nicht daß sie mich besonders anzöge, aber nach einer Weile, so nach einem halben Leben, gehört mir die Straßenecke irgendwie. Durch die Mauer vollkommener Gleichgültigkeit war sie im Lauf der Zeit ins Bewußtsein gesickert. Sie mußte dort eine Spur hinterlassen haben, die mit der Dauer ihrer Einwirkung zusammenhing. Jedenfalls erschien gerade sie vor meinem inneren Auge, als ich mich fragte, was mir entgehen würde durch meine endgültige Auslöschung. Wohlgemerkt in philosophischer Ruhe, nicht in der Panik eines angekündigten Termins.


Was hinter der grauen Fassade, was unter dem harten Pflaster, was über dem Blau des Gewölbes lag, das gab Zeichen durch einige neue Grashalme am Kantstein, durch einen fehlenden Farbplacken am Fensterholz, durch dunklere Wolken plötzlich. Der durch Gewohnheit fast völlig entwertete Platz wurde angesichts des gedachten Abschieds von dieser Welt zu eben dieser Welt. Jetzt war ein Grashalm am Kantstein oder der Tritt eines Vogels, ja die Tropfen eines beginnenden Regens waren Zeichen des Lebens. Wo gab es dergleichen noch anderwärts in der Welt? Schon die allernächsten, die Erdähnlichen warteten mit Umwelten auf, in denen entweder Metalle schmolzen, Kohlensäure gefror oder Methanseen düsterten. Der Grashalm wäre eine Sensation, ja eine Unmöglichkeit dort. Das erklärt vielleicht, warum gerade wir Schüchternen unser kleines Leben so wertvoll finden, während die Weltkinder damit etwas mutiger umgehen. Wir haben ja immer noch die Hoffnung, irgendwann möglicherweise mehr als die Reisenden und Weltkinder zu erleben. Was ist so furchtbar daran, dieses winzigen Ausschnitts alles Fühlbaren verlustig zu gehen? Nun, der winzige Ausschnitt ist ein Weitwinkel-Fenster in die denkbare Welt. Während das reale Erleben die Phantasie beendet, bleibt alles, was wir uns nicht zu tun trauen, wie in “Vorsatz und Ausführung” in voller Farbigkeit bestehen. So stirbt am Ende mit dem Verlust dieser trostlosen Ecke mehr Möglichkeit, als die Wirklichkeit je zu bieten hatte.




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